Schweigen in der analogen und digitalen Kommunikation der westlichen Moderne. Interdisziplinäre Perspektiven auf Vielfalt und Wandel

Schweigen in der analogen und digitalen Kommunikation der westlichen Moderne. Interdisziplinäre Perspektiven auf Vielfalt und Wandel

Veranstalter
Annamária Fábián (Bayreuth), Theo Jung (Halle-Wittenberg), Torsten Leuschner (Gent), Armin Owzar (Paris), Melani Schroeter (Reading), Igor Trost (Passau), Stefanie Ullmann (Cambridge), Judith Visser (Bochum) (Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Ausrichter
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
PLZ
06108
Ort
Halle (Saale)
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.12.2024 - 14.12.2024
Deadline
17.06.2024
Von
Theo Jung, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Schweigen in der analogen und digitalen Kommunikation der westlichen Moderne. Interdisziplinäre Perspektiven auf Vielfalt und Wandel

Interdisziplinäre Tagung am 12-14. Dezember 2024 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Silence in Analogue and Digital Communication in Western Modernity. Interdisciplinary Perspectives on Its Variety and Change

Interdisciplinary Conference, 12-14 Dec. 2024, Martin-Luther-University Halle-Wittenberg.

Schweigen in der analogen und digitalen Kommunikation der westlichen Moderne. Interdisziplinäre Perspektiven auf Vielfalt und Wandel

Die Tagung geht der Frage nach, wie sich der in der westlichen Welt seit etwa 1800 vollziehende Wandel von Möglichkeiten, Bedingungen und Mitteln der Kommunikation auf den Gebrauch, die Wahrnehmung und Bewertung des Schweigens und des Verschweigens auswirkt. Schweigen wird dabei weit aufgefasst als das Ausbleiben von Kommunikation dort, wo sie erwartet wird oder relevant wäre und beinhaltet auch Formen des Verschweigens. Unser Ansatzpunkt ist phänomenologisch: Sobald Kommunikation als absent wahrgenommen, thematisiert oder verhandelt wird oder als absent begründet werden kann, liegt Schweigen vor. Dadurch ist der Gegenstandsbereich nicht auf den synchronen und analogen Sprachgebrauch begrenzt, sondern umfasst eine große Vielfalt schriftlicher, mündlicher und multimodaler Formen, sowie asynchrone und digitale Kommunikation in verschiedenen historischen Zusammenhängen.

In (mindestens) fünffacher Hinsicht lässt sich Schweigen in der Kommunikationsgeschichte der westlichen Moderne verorten:

Erstens ist Schweigen unmittelbar eingebunden in kommunikationsrelevante Wandelprozesse bei der Konstitution moderner Gesellschaften wie die zunehmende Alphabetisierung, die Entwicklung der Massenmedien in verschiedenen Modalitäten, die Digitalisierung und den Aufstieg der sozialen Medien. Eine plausible Hypothese vor diesem Hintergrund könnte lauten, dass mit intensivierten Kommunikationsmöglichkeiten die Erwartbarkeit von Kommunikation steigt, aber auch die Enttäuschung, wenn sich die gesteigerten Erwartungen nicht erfüllen.

Zweitens haben Demokratisierungsprozesse den Anspruch auf Information und Transparenz sowie auf möglichst inklusive aktive und passive Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs erhöht. Dadurch kommt es wiederum zu einem vermehrten Kommunikationsangebot, das wiederum auch zur erhöhten Erwartbarkeit von Kommunikation führt. Vor diesem Hintergrund kann Schweigen im öffentlich-politischen Diskurs allerdings auch strategisch skandalisiert werden. Außerdem wird in diesem Zusammenhang kommunikative Verweigerung und Unterlassung als mangelnde Partizipation kritisiert. Das gilt selbst für moderne Diktaturen, die die im Laufe des langen 19. Jahrhunderts geschaffenen Partizipationserwartungen respektieren müssen und scheindemokratische Verfahren konsensualer Kommunikation entwickeln, in denen kommunikative Verweigerung auch als Widerstand verstanden werden kann.

Drittens werden im Zusammenhang mit Diversitätsdimensionen – wie Ethnie, Hautfarbe, Behinderung oder Geschlechtsidentität – die Impliationen der Verfügbarkeit von Äußerungsmöglichkeiten und der Chancen des Gehörtwerdens für gesellschaftliche Inklusion besonders greifbar. Zu fragen ist zum einen, wie Angehörige diverser Kollektive in der analogen und digitalen Kommunikation versuchen, dem Schweigen entgegenzuwirken und für Inklusion und zu mobilisieren. Auf der anderen Seite werden genau diese Strategien des Erlangens von Äußerungsmöglichkeiten und Resonanz mit dem Ziel gesellschaftlicher Inklusion von antidemokratischen Akteur:innen dafür genutzt, einen medialen Mainstream und gesellschaftliche Hegemonie sowie mangelnde politische Meinungsvielfalt zu behaupten und somit die Akzeptabilitiät einer antidemokratischen und nicht zuletzt exkludierenden politischen Agenda zu erhöhen.

Viertens sind mit den Möglichkeiten der Kommunikation und den Erwartungen an eine Teilhabe an ihr auch die Hoffnungen auf Konflikt- und Problemlösung durch Kommunikation gewachsen. Politischer Dialog, moderierte und regelgeleitete Aushandlungsprozesse sowie Konfliktvermittlungs- und Therapiegespräche sollen Probleme bewältigen oder vermeiden helfen, wohingegen kommunikative Zurückhaltung dabei immer mehr als Hindernis betrachtet wird.

Fünftens sorgen gesellschaftliche und kulturelle Liberalisierungsschübe, vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, für kommunikative Enttabuisierungen etwa von Geschlechtsidentität, Körperfunktionen, psychischer Befindlichkeiten und traumatischer Erfahrungen sowie von Erkrankungen, Behinderungen und deren Symptomatik. Außerdem stellt sich die Frage, wie solche Wandelprozesse der Thematisier- und Sagbarkeit ausgehandelt werden und ob Grenzen von Sagbarkeiten im diskursiven Wandel beobachtet werden können.

Wir bitten um Tagungsbeiträge, die im Zusammenhang mit den oben skizzierten Aspekten den Gebrauch, die Funktionen, die Wahrnehmung und die Bewertung des Schweigens analog im historischen Wandel oder auch unter Berücksichtigung digitaler Korpora untersuchen. U.a. Fragestellungen wie die folgenden können dabei behandelt werden:
- Welche Funktionen hat das Schweigen in unterschiedlichen situationellen, institutionellen und medialen Kontexten? Wie ändern sich solche Funktionen vor dem Hintergrund verschiedener Prozesse sozialen Wandels?
- Welche gesellschaftlichen, politischen oder sonstigen Auswirkungen ergeben sich aus der konflikthaften Verhandlung der Bedeutung und Legitimität des Schweigens?
- Welche kulturellen Zuschreibungen werden mit dem Schweigen (und seinem mitgedachten Gegenteil) in der analogen und der digitalen Kommunikation verknüpft und welche Implikationen werden daraus gezogen?
- In welchen Kontexten und zu welchen Zeiten steigt oder sinkt die Erwartung von Kommunikation? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Bewertung des Schweigens aus?
- In welchem Zusammenhang stehen Kommunikationsmöglichkeiten und Schweigen mit gesellschaftlicher Inklusion oder Marginalisierung?

Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Wir bitten um Einreichung von PDF-Abstracts im Umfang von höchstens 500 Wörtern (exklusiv Literaturverzeichnis) bis zum 17. Juni 2024 per E-Mail an theo.jung@geschichte.uni-halle.de. Die Vorträge sollten für eine Länge von 20 Minuten geplant werden, mit 10 Minuten Zeit für Diskussion. Eine Mitteilung über Annahme oder Ablehnung erfolgt bis spätestens Ende Juli 2024. Eine Publikation ausgewählter Beiträge ist geplant. Es wird keine Konferenzgebühr erhoben. Für Early-Career-Scholars ohne eigene finanzielle Mittel können Fahrt- und Übernachtungskosten teilweise anteilig übernommen werden. Bitte setzen Sie sich hierzu mit Prof. Dr. Theo Jung (theo.jung@geschichte.uni-halle.de) in Verbindung.

Silence in Analogue and Digital Communication in Western Modernity. Interdisciplinary Perspectives on Its Variety and Change

This conference seeks to explore how processes of change affecting the conditions, means, and opportunities of communication in the western world since 1800 have affected the perception and the evaluation of silence and concealment. Silence is understood broadly as the absence of communication where it could have been expected, or relevant, and it encompasses forms of concealment. Our approach is phenomenological; as soon as communication is perceived or claimed as absent, or can reasonably be argued to be absent, we are dealing with silence. The object of investigation is therefore not limited to synchronous oral communication, but also includes a multitude of written, oral, and multimodal forms of analogue as well as digital communication, as well as a broad variety of historical and social contexts.

The relevance of silence as a communicative phenomenon and changes of its uses, role, and evaluation becomes manifest in the communication history of western modernity in at least five aspects:

First, silence is part of a changing communicative landscape in the constitution of modern societies such as increasing literacy, development of mass media and different modalities of mediated communication, digitisation, and the rise of social media. In this context, we can hypothesise that with increasing production of and exposure to communication, expectations of communication have risen, but also the disappointment when expected communication is omitted or is not taking place.

Second, processes of democratisation have increased the demand for information and transparency and for inclusive and active participation in political processes and discourse. This also triggers an increasing volume of public discourse and with it, increasing expectations of communication. Within this context, silence especially in public discourse can be scandalised. Moreover, refusal to engage in communication and with political discourse can be criticised as foregoing participation. This is even true for modern dictatorships that must also acknowledge the expectations of participation emerging during the long 19th century and therefore develop pseudo-democratic processes of consensual communication in which refusal to engage in communication can also be seen as resistance.

Third, for people with diverse ethnic, ability, or gender backgrounds, the availability of forums for expression and the chances of being listened to become crucial for their inclusion. Here, we could investigate ways in which members of diverse groups try to work against silence in analogue and digital communication and to mobilise for inclusion. However, exactly these strategies of obtaining resonance are also being used with to increase the acceptability of an anti-democratic and not least exclusionary political agenda, for example, when a purported left-liberal hegemony and mainstream media are accused of inhibiting freedom of expression and reducing the diversity of political opinions.

Fourth, together with increased opportunities for and expectations of communication, hopes have risen that it can help us to solve problems and ease conflicts. Political dialogue and negotiations, as well as conflict mediation and therapeutical talking cures are meant to avoid or help overcoming problems, whereas communicative reticence is seen as an obstacle to achieving this.

Fifth, social and cultural liberalisation especially since the second half of the 20th century brings with it processes of de-tabooing of traumatic experience, mental health, bodily functions, gender and sexuality, illness, and disability. It would be interesting to investigate how such changes are negotiated in debates about what can(not) be said and at attempts to (re)draw borders of possibility and acceptability.

We are asking for contributions that relate to the aspects sketched above while looking into the uses, functions, perceptions, and evaluations of silence in analogue or digital communication and with a view on historical change. Questions such as the following could be pursued:
- What are the functions of silence in different situational, institutional, and media contexts? How do such functions change within the background of various broader processes of social change?
- Which societal, political, or other consequences arise from controversial debates about the meaning and legitimacy of silence?
- Which cultural values are associated with silence (and with communication as its implicit counterpart) in analogue and digital communication, and what are the implications of this?
- In which contexts and at which times is there potentially a rise or a drop in expectations of communication? Which consequences does this have for the way in which silence is evaluated?
- What is the relationship between opportunities of communication and silence with societal inclusion or marginalization?

The conference will be bilingual (English and German). Please submit an abstract (max 500 words excluding references) by 17 June 2024 via email to: theo.jung@geschichte.uni-halle.de. You will hear back from the organising committee by the end of July 2024. The talks will be scheduled for 20 minutes, with 10 minutes for discussion. We are planning to publish selected contributions. There will be no charge for registration. We are aiming to be able to support early-career researchers lacking financial backing from an institution with their costs for travel and/or accommodation. If this applies to you, please contact Professor Theo Jung (theo.jung@geschichte.uni-halle.de).

Kontakt

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